Kennen Sie Caesar? Aber sicher.
Kennen Sie Cleopatra? Wer kennt sie nicht!
Aber welchen Caesar, welche Cleopatra?

Historische Persönlichkeiten wie Caesar und Kleopatra werden in Geschichtsbüchern, Romanen, auf der Bühne und im Film ganz unterschiedlich charakterisiert. Der vorliegende Roman verwebt diese Vielfalt witzig und kenntnisreich zu einer spannenden Geschichte. Die Autorin eröffnet eine ganz neue Perspektive auf die beiden viel beschriebenen Figuren. Im Spiegelsaal von Versailles zeigt sich, dass Caesar nicht nur Caesar ist und Cleopatra nicht nur Cleo­patra. Louis XIV, der Sonnenkönig, hat überdies in dieser Geschichte ein gewichtiges Wort mitzu­sprechen, ist er doch Gastgeber der illustren Gesellschaft, die sich in seinem Schloss aufhält. Ein Verwirrspiel mit historischem Hintergrund. Die meisten Romanfiguren sind historische Persönlichkeiten. In einem ausführlichen Glossar stehen dem Leser zusätzliche Informationen über den geschichtlichen Hintergrund zur Verfügung.

susanne cho


caesar und cleopatra?


spiegelgefechte


 

 

roman

   

Reihe: skepsis & leidenschaft / Band 11
mit Glossar und Zeitafeln

© Skepsis Verlag, Zürich, August 2016
400 Seiten. Softcover, Format 12 x 19 cm, 492 g
Europa: 15 EUR / Schweiz: 18 CHF
ISBN 978-3-9524188-3-3

 

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Leseprobe aus Kapitel 6
die Krankheit der Variation


Nach einer schlechten Nacht und einem endlosen Tag macht Caesar sich übellaunig auf die Suche nach dem Salon der ­Venus. Der Sonnenkönig hat ihn dorthin bestellt, er halte eine Überraschung für ihn bereit. Woher nur die Missstimmung … Ein deutliches, wenn auch nicht begründbares Gefühl lässt Caesar vermuten, dass es mit dem Gallischen Krieg zu tun hat.
Caesar durchquert den Spiegelsaal und gelangt in den Salon des Krieges. Ein riesiger Louis XIV hoch zu Pferd ragt aus einem gewaltigen Medaillon hervor, direkt über dem Kamin. Als römischer Feldherr gekleidet, empfängt er mit entrücktem Blick die Krone der Ruhmesgöttin. Unter den Pferdehufen krümmen sich besiegte Feinde. Der Sonnenkönig würdigt Caesar keines Blickes. Täuscht sich Caesar oder zeigt sich auf den Gesichtern von Claudius, Vespasianus und Domitianus, die sich als bescheidene Büsten in diesem Raum aufhalten, der Anflug eines ironischen Lächelns? Caesar eilt in den nächsten Saal, wo er Louis erneut begegnet. Diesmal blickt der Herrscher aus einem enormen Bilderrahmen, präsentiert sich in reicher Gewandung, in einem blauen, pelzgefütterten Mantel mit goldenen Lilien und endlosen weißen Strümpfen, die oben aus einem überaus kurzen gefältelten Zwitterding – halb Hose, halb Rock – entspringen und in Schuhe münden, deren hohe Absätze in einem auffälligen Rot gehalten sind. Rot, die Farbe der Senatorenschuhe. Zufall? Krone, juwelenbesetztes Schwert, kraftvolle Insignien der Macht, nichts fehlt; dennoch flößt dieser Louis Caesar keinen Respekt ein. Die Kleidung ist schwülstig und außerdem verdreht der König seine Beine in einer unnatürlichen Pose, als wolle er gleich ein paar Tanzschritte machen. Bevor er das tun kann, flieht Caesar aus dem Saal, gelangt aber in einen Raum, in dem schon wieder ein überlebensgroßer Louis im Königsornat aus einem Bilderrahmen schaut. Erleichtert atmet Caesar auf; es handelt sich um einen anderen, die Gesichtszüge unterscheiden sich deutlich, auch die Haartracht hat sich verändert – zu Ungunsten des zweiten, wie Caesar befindet. Ist es der Urenkel, den der ­Sonnenkönig vor zu vielen Kriegen gewarnt hat? Ihm gegenüber eine Frau, eingezwängt in ein gewaltiges Bauwerk von Stoffen. Ob die sich überhaupt allein fortbewegen kann? Eine solche Frau zu entkleiden, muss eine langwierige Prozedur sein … Der nächste Saal scheint Mars gewidmet, das Gewölbe zeigt den Gott im Kriegswagen und natürlich wieder Louis XIV, diesmal zu Pferd und in Kriegsmontur. Anders als der schon etwas schlaffe Louis im Königsmantel ist dieser hier zu Pferd noch jung und energisch. Caesar unterdrückt den Drang, das Deckengewölbe zu inspizieren, er wüsste gerne, wer hier einen Platz einnimmt neben Mars. Alexander vermutlich. Ob man auch Caesar würdigt? Unter dem Blick des Sonnenkönigs mag er nicht stehenbleiben. Er durcheilt den langen Saal, doch auch der anschließende ist beherrscht von einem Louis XIV. Ein schöner Louis, dynamisch, interessant, meisterhaft herausgemeißelt aus weißem Marmor. Caesar kann nicht anders, er bleibt vor Louis stehen und bewundert ihn.
»Salve! So bin ich endlich an unserem Treffpunkt angelangt. Hervorragend siehst du aus, Louis, so strahlend wie nie zuvor. Ich fragte mich schon, warum du mich so weit gehen lässt, wenn ich dich doch in jedem Saal treffen könnte, doch deine Ausstrahlung hier ist tatsächlich außerordentlich.«
»Findest du?«, fragt Louis und lächelt charmant. »So hat Bernini mich gesehen, ein Künstler aus Italien. Kühn, willens­stark. Im Gegensatz zu Berninis Reiterstatue mit dem sich übertrieben aufbäumenden Pferd passt mir dieses Portrait, doch damals entsprach es nicht dem Hofgeschmack, zu wild, zu italienisch, sagte man. Ein anmaßender Kerl, dieser Bernini – kritisierte meinen Geschmack bei der Innendekoration als zu feminin, zu französisch. Dir als Römer mag Berninis Konzeption gefallen … Hier sind wir allerdings erst im Salon der Diana, unser Treffpunkt ist nebenan, im Salon der Venus.«
»Oh«, sagt Caesar, »ich dachte, dies sei der Venussalon, ­Venus ist ja gleich zweimal vorhanden.«
»Ihr könnt euch doch auch hier unterhalten«, mischt sich Venus ein und wirft Louis einen strengen Blick zu.
»Das meine ich auch«, sagt die zweite Venus, die sich von der ersten fast nur durch ihr Diadem unterscheidet, »es wäre außerdem an der Zeit, Caesar auf seine vielfältigen Möglichkeiten aufmerksam zu machen, der Ort hier ist dafür günstig.« Sie hebt den Kopf und weist auf die Deckengemälde.
»Diana, nehme ich an«, sagt Caesar ohne viel Interesse. »Jagdszenen, um sie zu ehren.«
»Um mich zu ehren«, korrigiert Louis, »ich bin ein passionierter Jäger – wie Kyros und Alexander hier.«
Die erste Venus, sie hat sich als die Capitolinische vorgestellt, schüttelt energisch den Kopf. »Direkt über mir, hier«, sagt sie und deutet nach oben: »Iulius Caesar schickt eine römische Kolonie nach Karthago.«
Caesar blickt nach oben, doch nur für einen Augenblick. Schwindel erfasst ihn. Ist es sein Nacken, der sich versteinert hat? Nein, es ist Verwirrung, dieselbe Verwirrung, die ihn seit der Begegnung mit Louis im Spiegelsaal immer wieder befällt. Mit einem Schlag wandelt sich das unangenehme Ahnen zu einer Gewissheit, der er sich nicht mehr verschließen kann. Es gibt mehr als einen Caesar. Caesar aus dem Spiegelsaal begegnet Caesar im Salon der Diana. Und er würde jede Wette eingehen, dass es im Nebensalon noch einen weiteren Caesar gibt. Caesar, der seiner eigenen Leichenrede zuhört, ist ein viertes Exemplar. Und Caesar mit dem vollen weißen Haar, der nach dem Schild des Vercingetorix sucht, ist das nicht noch eine Variante, wenn auch eine lächerliche? Am unangenehmsten ist es, wenn er an den Caesar seiner eigenen Schriften denkt. Ist jener Caesarnicht ebenso eine geschaffene Figur, auch wenn er selbst – und wer ist er selbst? – der Schöpfer ist? Wie viele noch? Ein Schauder befällt ihn bei der Erinnerung an die Schulklasse, sechzehn Jugendliche kreieren sechzehnmal einen neuen Caesar, nicht eingerechnet der Caesar des Lehrers. Panik ergreift ihn. Ohne ein Wort zu sagen, flüchtet er aus dem Saal, wirft im Salon des Mars einen hektischen Blick an die Decke und sieht prompt Caesar bei der ­Inspektion seiner Truppen.
Im Eiltempo begibt er sich zu seinem Stammplatz in der Großen Galerie. Überall Spiegel, die sein Bild reflektieren. Spiegel ist alles. Er hat es schon immer gewusst. Mit seinen Schriften hat er seinen eigenen Spiegel gebaut. Umsonst. Alle sind sie da, alte, neue, abgenutzte, blinde, brillante, im Licht schillernde, banale – nebeneinander, dichtgedrängt, ein ganzer Spiegelsaal. Manch einen hätte er gerne zertrümmert. Vergeblich. Sie sind für immer da. Caesar lenkt seinen Blick in den Park. Der Park. Die Rettung.

...
[Auszug aus «susanne cho: caesar und cleopatra», aus Kapitel 6, die Krankheit der Variation, S. 62 – 65]